Im Fliegenkino
Biochemisches Verfahren visualisiert komplettes Fliegenlarven-Nervensystem
Fruchtfliegen in der Küche stören meistens. Im Labor können die kleinen Tierchen jedoch sehr hilfreich sein – sogar für Lernexperimente. Denn schon die Fliegenlarven können Düfte und Gerüche unterscheiden. Dafür nutzen sie Sinneszellen an ihrer Körperoberfläche. Diese nehmen Informationen auf und leiten sie ans Gehirn weiter. Dort wird das Wissen für die zukünftige Nahrungssuche abgespeichert und in veränderten Verhaltensweisen wieder ausgegeben. Ein Team des Leibniz-Instituts für Neurobiologie Magdeburg (LIN) hat nun ein Verfahren entwickelt, um die ganze Larve zu durchleuchten und deren Nervenzellen – von Kopf bis Fuß sozusagen – in ihrer Gesamtheit darzustellen.
Wenn die Temperaturen im Sommer heißer werden, kann man sie wieder beobachten: Dann sitzen Fruchtfliegen in unserer Küche und knabbern an unserem Obst. Aber auch die Jugendstadien der Fliegen, die Larven, lieben den süßen Geschmack. Erstautor Dr. Oliver Kobler weiß aus verschiedenen Experimenten: „Schon die Fruchtfliegenlarven mit ihren etwa 40.000 vernetzten Nervenzellen im Gehirn können gut riechen und schmecken. Außerdem lernen sie, welcher Geruch sie zu nahrhaften Futterquellen führt.“
Sinneszellen, die fürs Fühlen, Schmecken oder Riechen zuständig sind, helfen den Larven bei der Nahrungssuche. Sie befinden sich entlang ihres gesamten Körpers. „Wir wollten uns deshalb nicht nur auf das Gehirn konzentrieren, das die Informationen verarbeitet, sondern alles betrachten, was zwischen Wahrnehmungen und Verhalten passiert“, erklärt Dr. Ulrich Thomas. „Denn bisher hat man meistens nur direkt ins Gehirn geschaut und dieses chirurgisch freigelegt. Der Rest des Nervensystems wurde dabei vernachlässigt.“
Um die ganze Larve mit all ihren Nervenzellen mikroskopisch darstellen zu können, musste ein Verfahren entwickelt werden, das die feste Chitinhülle durchlässig macht. Die Grundidee, Gewerbe durchsichtig zu machen, hatte der Anatom Werner Spalteholz schon vor gut 100 Jahren. Dank der modernen Fluoreszenzmikroskopie ist der Anwendungsbereich des Verfahrens größer geworden.
Dem Magdeburger Team ist es gelungen, das Verfahren so zu optimieren, dass bei Larven das Nervensystem durch fluoreszierende Markierungen in Gänze sichtbar gemacht werden kann. „Dafür haben wir die erstaunlich widerstandsfähige Hülle der Fliegenlarven angeraut und die wachsartige Schicht um sie herum aufgelöst. Danach haben wir das Gewebe fixiert, damit unsere Markierungen an Ort und Stelle bleiben. Und zum Schluss haben wir das Wasser entzogen und noch eine Säure dazu gegeben“, erläutert Kobler.
Dadurch wird der Körper transparent gemacht und das Licht des Mikroskops geht durch das Gewebe bis zu den Fluoreszenzmarkierungen hindurch. Mit diesem Verfahren entstehen beeindruckende Gesamtansichten des Nervensystems und aller seiner feinsten Verästelungen im ganzen Körper der Larven.
Ein Video der Larve unter dem Mikroskop gibt es auf unserem YouTube-Kanal unter: https://youtu.be/Hv4D5ge4afA
Das Paper zur Methode ist online verfügbar unter: https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/01677063.2021.1892096
Die gläserne Larve: Fruchtfliegenlarven liegen auf einem Streifenmuster (oben vor und unten nach Anwendung des Clearing-Verfahrens)
Unter dem Mikroskop: Das Nervensystem einer Larve ist mit Hilfe der sogenannten Lichtblattmikroskopie (engl.: Light sheet) anhand fluoreszierender Proteine dargestellt. Die helle Struktur im linken Bildabschnitt stellt das Zentralnervensystem dar. Dort münden einerseits sensorische Nervenfasern aus dem Kopfbereich (links). Andererseits entspringen Nervenfasern, um u.a. die Muskeln der Larve im gesamten Körperwandbereich anzusteuern (in Richtung hinterer Körperhälfte, rechts).