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Ist Demokratie gefährdet,

wenn Ihre Vorteile zu wenig sichtbar sind?

 

Experimentalökonomen führen größten Laborversuch der Wirtschaftsforschung durch

Mit dem bisher größten Laborexperiment der Wirtschaftsforschung haben Experimentalökonomen die seit 50 Jahren geltende sogenannte „Theorie kollektiven Handelns“ erschüttert. Sie besagt, dass es für den Einzelnen in großen Gruppen keinen Anreiz gebe, an kollektiven Gütern wie Klima- oder Umweltschutz mitzuwirken, da sein Einsatz in keinem Verhältnis zum minimalen Einfluss stehe, den er nehmen könne. Laut der soeben veröffentlichten Studie hängt unser Engagement für die Allgemeinheit aber keineswegs nur am Einfluss, den wir haben. Wesentlich wichtiger wäre demnach, ob uns wirklich klar sei, wofür wir uns einsetzten.

Das Team um den Wirtschaftswissenschaftler und CBBS-Mitglied Prof. Joachim Weimann von der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg hat diese Theorie erstmals unter Laborbedingungen getestet. Indem sie vier Labore virtuell miteinander verknüpften, konnten Weimann und seine Kollegen bis zu 100 Versuchspersonen gleichzeitig im Labor untersuchen. Sie fanden heraus, dass große Gruppen, in denen die Mitglieder nur einen sehr geringen Einfluss hatten, zu exakt der gleichen Kooperationsleistung fähig sind, wie die zur Kontrolle eingesetzten Kleingruppen. Den 1965 erstmals vom US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Mancur Olson beschriebenen Effekt, dass der schwindende Einfluss von Individuen in großen Gruppen jegliche Kooperation unmöglich macht, konnten die Forscher widerlegen.

Stattdessen zeigte sich, dass für Mitglieder großer Gruppen etwas entscheidend war, das man bisher in der Forschung zu Kooperationsfragen nicht im Blick hatte: Tatsächlich kommt es weniger auf den absoluten Wert des individuellen Beitrags an, als vielmehr darauf, in welchem Verhältnis dieser zur Bedeutung des Einzelnen in einer Gruppe steht. Sehen Menschen in ihrem Beitrag einen sichtbaren Vorteil für die Gruppe, erzeugt das kollektives Verhalten: Meine eigene Kooperation hilft anderen; die Kooperation der Anderen nützt mir. Das Ergebnis der Studie wurde soeben im international renommierten Journal European Economic Review veröffentlicht.

„Die Erkenntnisse eröffnen uns einen völlig neuen Ansatz in der Erforschung menschlichen Handelns in der Gemeinschaft“, so der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Joachim Weimann. „Sollte sich die Hypothese bestätigen lassen, dass für große Gruppen die Sichtbarkeit der Kooperationsvorteile für ihr gemeinschaftliches Handeln entscheidend ist, ergeben sich neue Fragestellungen mit erheblicher politischer Bedeutung. Das würde nämlich heißen, dass beispielsweise demokratische Systeme in Gefahr geraten, wenn den Bürgern die wechselseitigen Vorteile, die durch Partizipation am politischen Leben für alle entstehen, nicht mehr hinreichend klar sind. Und, dass die Lösung von Umweltproblemen entscheidend davon abhängt, ob die Vorteile von umweltschonendem Verhalten hinlänglich bekannt und im öffentlichen Bewusstsein angekommen sind. Probleme kommen vor allem dann zustande, wenn die Vorteile ihrer Lösung nicht ausreichend sichtbar sind.“

Das experimentelle Großprojekt habe allerdings auch gezeigt, dass selbst unter den idealen Bedingungen eines Labors eine Lösung eines gemeinschaftlichen Problems nur teilweise gelinge, wenn man sich dabei allein auf die freiwillige Kooperation von Individuen verlässt, so Weimann weiter. „Immerhin ein Drittel der Teilnehmer war jedoch bei hinreichender Sichtbarkeit des Vorteils zur Kooperation bereit.“ Und genau darin liege wiederum die Chance für den Wirtschaftswissenschaftler Weimann „30 Prozent Befürworter – das ist in demokratischen Systemen eine unverzichtbare Basis für rationale kollektive, also politische Entscheidungen.“

Quelle: Weimann J., J. Brosig-Koch, T. Heinrich, H. Hennig-Schmidt, C. Keser: Public Good Provision by Large Groups – The Logic of Collective Action Revisited. European Economic Review, 118 (2019), 348–363. Link: link.ovgu.de/studieweimann 

Prof. Dr. Joachim Weimann ist Mitglied im CBBS und Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftspolitik an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Er ist wissenschaftlicher Leiter des Magdeburger Labors für experimentelle Wirtschaftsforschung (MaXXLab) und Vorsitzender der Gesellschaft für experimentelle Wirtschaftsforschung (GfeW). Das Projekt, das er zusammen mit Jeannette Brosig-Koch, Heike Henning-Schmidt, Claudia Keser und Timo Heinrich realisiert hat, wurde aus Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert.

Pressetext: OVGU

Weimann Joachim c Harald Krieg

CBBS-Mitglied Prof. Dr. Joachim Weimann, Lehrstuhl Wirtschaftspolitik an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Foto: Harald Krieg, Universität Magdeburg